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Corona und die Angst

Es gibt inzwischen viele Vermutungen darüber, was Menschen zu dem Entschluss führt, sich nicht gegen Covid-19 impfen zu lassen. Erklärungsversuche drehen sich um Soziale Medien, Propaganda wissenschaftsfeindlicher und rechtslastiger Kreise und Verschwörungsmythen.

Aber das eigentliche Thema, um das es hier zentral geht, ist die Angst. Das klingt zu allererst einmal paradox. Denn wenn es um Angst geht, wäre es erst recht plausibel, dass sich jene Menschen, die sich bisher der Impfung verweigert haben, schließlich doch impfen lassen. Dann bräuchten sie ja weniger Angst haben, an Covid-19 zu erkranken. Aber diese Logik funktioniert auf einer bestimmten Ebene emotionaler Betroffenheit nicht mehr. Eine dieser Ebenen berührt die Angst.

Angst steht im Zusammenhang mit einer tiefen existenziellen Verunsicherung, mit der Befürchtung einer Gefährdung bzw. Bedrohung. Wir haben viel zu wenig gelernt, mit Angst konstruktiv umzugehen. Angst wird verdrängt, verleugnet - ja - Angst gilt als Schwäche. Und Schwäche ist verpönt, wird verachtet. Die gängige Standard-Strategie in unserer westlich-aufgeklärten Kultur gegen Angst und unangenehme Gefühle ist neben der Rationalisierung und der Verdrängung die Kontrolle.

Folglich wurde in der akuten Corona-Pandemie hauptsächlich auf drei Maßnahmen gesetzt: Einschränkungen, Kontrolle und rationale Erklärungsversuche. Gegen die Angst vermag das aber nichts auszurichten. Dies verstärkt nur das Gefühl der Hilflosigkeit und macht noch mehr Angst. Und wenn Rationalisierung und Kontrolle nicht wirkt - verdrängen geht hier ohnehin nicht - führt der Weg für Viele schnurstracks in die Irrationalität, in Erklärungsmuster und Lösungsversuche, die nicht mehr auf dem Boden der Wissenschaftlichkeit angesiedelt sind. Skepsis und Misstrauen greift um sich. Hier kippt das ganze System und jene, die am meisten Angst erleben, flüchten sich in Erklärungsmythen, die pseudo-rational zusammengezimmert sind und für tief verunsicherte Menschen Sinn ergeben können.

Angst zieht sich als Grundströmung durch die gesamte Gesellschaft. Angst ist nicht nur ein Thema für die Ungeimpften, es betrifft die Geimpften genauso. Jeder Mensch kennt das Gefühl. Der Unterschied ist nur, dass jene, die sich bisher impfen haben lassen, ein gewisses Grundvertrauen mitbringen, eine gewisse Sicherheit in sich tragen, dass ihnen mit der Impfung etwas Gutes widerfährt. Und dass diejenigen, welche damit zu tun haben - die Pharmaunternehmen, die WissenschafterInnen, die Regierungen, Ärzte, usw. - ihnen nichts Böses antun wollen. Das öffnet ihre Bereitschaft, sich impfen zu lassen und dies dann auch zu tun.

Viele der Impfverweigerer haben dieses Grundvertrauen zu wenig oder gar nicht. Es sind vielfach Menschen, die im Lauf ihrer Entwicklung in ihrem Grundvertrauen erschüttert, in ihrer psychischen Integrität bedroht, abgelehnt, gedemütigt, nicht ernst genommen und nicht gesehen wurden. Das hat die Angst genährt und Vertrauensbildung untergraben. All das, was jetzt so bitter nötig wäre um die Pandemie zu bekämpfen.

Menschen, die in sich zu wenig Grundvertrauen verankern konnten, entwickeln einen Hang zur Irrationalität, eine Affinität zu autoritären Identifikationssystemen bzw. Narrativen, die auf einfache Weise Heil und Erlösung versprechen. Diese sind - mit Ausnahme der Religionen - nicht in den zentralen Systemen aufgeklärter liberaler Demokratien angesiedelt sondern in deren Randbereichen. Deshalb auch der Zulauf zu bestimmten Bereichen der Sozialen Medien, zu Rechtsradikalen, Rechtspopulisten, diversen Heilsbringern und Schuldzuweisern.

Wie kann man aber im Kontext der Pandemie mit Angst umgehen? Ein Hebel ist sicher die Art und Weise der Kommunikation im politischen, medialen und privaten Bereich. In der politischen Diskussion ist entscheidend, keine Feindbilder aufzubauen. Impfgegner bzw. -skeptiker und Coronaleugner nicht als Feinde hinzustellen, sie abwerten und als böse zu brandmarken. Da sie Ablehnung und Zurückweisung ohnehin schon oft erfahren haben, bestätigt sie das in ihrer unbewussten Erwartung, dass ohnehin alle gegen sie eingestellt sind. Das fördert das Einigeln in den gewohnten Verhaltensweisen. Ehrliche Zuwendung, kritischer Respekt und gewaltfreie Rhetorik wirkt der angstvollen Einengung entgegen. In der öffentlichen Kommunikation ist KLarheit, bedingungslose Ehrlichkeit und evidenzbasiertes Handeln gefordert. Darin sind unsere Politiker nicht gerade firm. Herumeiern ist jedenfalls keine Lösung. Die Katastrophe am monatelangen Herumlavieren, Schönreden, Verharmlosen und inkonsequenten Handeln der Regierung ist die Botschaft der Unsicherheit und Hilflosigkeit, die der Angst und Verunsicherung der Bevölkerung mehr und mehr Nahrung gegeben hat.

In der medialen Berichterstattung und in den Sozialen Medien geht es viel zu oft um plakative und verzerrte Darstellungen und reißerische Berichte. Hier wären ausgewogene und unaufgeregte Berichte viel hilfreicher als die inflationäre Verbreitung von Horrormeldungen und das ewig gleiche Beschwören, wie schlimm denn die Lage sei. Auch das schürt die Angst, führt zu einem Gefühl der Hilflosigkeit und letztlich zu Resignation und Gleichgültigkeit. Auch das ist kontraproduktiv für die Pandemiebekämpfung. All das bisher Gesagte gilt auch für die private Kommunikation. Warme und kritische Zuwendung und unaufgeregte Diskussion unter Vermeidung von Zurechtweisung und Besserwisserei. Es gilt zu vermitteln, dass wir alle im selben Boot sitzen und - ausnahmslos alle - aufeinander angewiesen sind.

Das Gebot der Stunde ist entschlossenes Handeln und klare Botschaften ohne das Bedienen von Feindbildern und Verächtlichmachen der Impfgegner. Über fast zwei Jahre hinweg haben Kanzler, Gesundheits- und Innenminister die Pandemie-Wellen geritten in dem Glauben, sie könnten Leadership demonstrieren indem sie sich in Permanenz vor die Kameras stellen und sich dabei zu profilieren. Die Polit-Rhetorik mit Halbwahrheiten und inhaltslosen Geschwurbel hat die Ängste der Menschen nur noch mehr befeuert. In Wirklichkeit haben sie - ich nehme an, im Unwissen über die Folgen - die Angst der Menschen instrumentalisiert. Um den Preis der Entsolidarisierung haben sie versucht, sich politisch zu profilieren und den Anschein zu erwecken, sie hätten alles unter Kontrolle. Damit sind sie gründlich gescheitert und versuchen jetzt mühsam, den angerichteten Scherbenhaufen wegzuräumen.

Die Einführung der Impfpflicht ist der schon längst überfällige Schritt in die richtige Richtung. Der Staat muss zeigen, dass er entschlossen handeln kann wenn das nötig ist - nur so kann Vertrauen wiedergewonnen werden. Und die Politik muss aufhören, mit den Ängsten der Bevölkerung zu spielen und zu glauben, sich dadurch profilieren zu können.


Was es auch braucht, ist eine groß angelegte Kampagne in allen Medien und Internet-Kanälen, wo sich ganz verschiedene Menschen zu den verschiedenen Aspekten der Impfung und mit individuellen persönlichen Erfahrungen äußern und es so gelingen könnte, die Menschen auf Augenhöhe anzusprechen und ins Boot zu holen. Ganz gewöhnliche Menschen, denen man Vertrauen schenken kann, weil sie nicht durch Politik und andere Interessen vereinnahmt sind. Nur so und mit dem Zurückfahren der Polit-Show kann man Polarisierung vermeiden. Diese Polarisierung führt nämlich dazu, dass sich das rechte Politspektrum der Thematik annimmt, denn genau das brauchen die. Und genau deshalb marschiert das rechte und rechtsradikale Lager bei all diesen Corona-Demos mit - gemeinsam mit Menschen, die damit gar nichts am Hut haben.


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